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Metastasierung bei Brustkrebs: Blick durch das „Nadelöhr der Realität“

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Aus einem Tierversuch: Das Bild zeigt Blutgefäße (rot), Zellkerne (blau) und menschliche metastasierende Brustkrebszellen (grün) im Gehirn einer Maus nach intravenöser Verabreichung experimenteller Nanopartikel, die die Blut-Hirn-Schranke passieren können. Bildnachweis: Emily Wyatt, Mark Davis, California Institute of Technology, NIH-Finanzierung durch: National Cancer Institute, Lizenz Public Domain 1.0, kein Copyright

Es gibt eine gute Nachricht: Rund zwei Drittel der neu erkrankenden Frauen überleben heute Brustkrebs, zumindest wenn sie in Deutschland erkranken. Beobachtungen bei der Auswertung von Daten aus dem Tumorregister München haben ein Wissenschaftler*innenteam bewogen, die Datenlage zur Metastasierung von Brustkrebs genauer zu beschreiben. 1 Die Ergebnisse, die einen Zeitraum von mehr als 4 Jahrzehnten umfassen, beschreibt die Gruppe zusammenfassend als „Nadelöhr der Realität“.

Alle nachfolgend beschriebenen Daten sind „statistisch“. Das heißt, sie lassen sich grundsätzlich nicht 1 zu 1 auf eine individuelle Patientin übertragen. Aber: Sie geben Einblick in die Fragestellung, wie Brustkrebs längerfristig verläuft, wie die Krankheit „tickt“. Wir wissen, dass ein Tumor in der Brust teilweise über die Lymphgefäße in die Lymphknoten der Achselhöhle metastasieren kann. Doch Fernmetastasen in anderen Organen des Körpers gelangen wahrscheinlich über den Blutkreislauf  dorthin. Da Brustkrebs im Vergleich zu verschiedenen anderen Krebsformen tendenziell eher einen langsameren Krankheitsverlauf hat, bringen nur Beobachtungen über lange Zeiträume hinweg Aufschluss über die Wirksamkeit von Therapien.

Überleben seit Mitte der 1970er Jahre hat sich verbessert

Die Wissenschaftler*innen vom Tumorregister München zeigen auf, wie sich die Überlebensraten nach der Diagnose Brustkrebs für Tumoren bis 5 cm Größe seit 1978 kontinuierlich verbessert haben.2 Sie führen die Verbesserungen beim Überleben in erster Linie auf „adjuvante“ Therapien zurück.3

Adjuvante Therapie bewirkt mehr als Früherkennung

Früherkennung trage zusätzlich zu dem verbesserten Überleben bei, jedoch seien es nur 2% von allen Patientinnen, die durch die Früherkennung profitierten. Demnach hätten 98% der von Brustkrebs betroffenen Patientinnen keinen Vorteil durch die frühere Diagnose aufgrund von Screeningmethoden. Die im Körper einer Patientin vorhandenen Ansammlungen von Tumorzellen sowie noch unsichtbare Metastasen können durch adjuvante Therapien „eradiziert“ – das heißt „ausgemerzt, vernichtet“ werden. Bei einigen Patientinnen gelingt dies vollständig, bei anderen bleiben zumindest Knochen- und Lungenmetastasen im weiteren Verlauf aus. Damit verbessern sich Langzeitüberleben und Lebensqualität. Dies, so beschreiben es die Autor*innen, unterstreiche „die Größe des Effektes der adjuvanten Therapien“, den sie bei 20% absoluter Reduktion der Sterblichkeit verorten, allerdings ohne Chemotherapie und antihormonelle Therapie hinsichtlich dieses Effektes zu unterscheiden.

Die Metastasierung als das eigentliche Problem bei Brustkrebs

Wenn der Tumor in der Brust mit der Operation restlos entfernt wurde („R0-Resektion“), werden nach dem Ende der adjuvanten Therapie höchstens sehr selten neue Metastasen „initiiert“ bzw. neu gestreut. Die Metastasierung, die demnach häufig bereits vor der Operation stattgefunden hat, bleibt das Hauptproblem, denn metastasierter Brustkrebs ist nach gegenwärtigem Wissensstand weiterhin „unheilbar“. Was zur Metastasierung führt und wie sie entsteht, ist nach wie vor zu wenig erforscht bzw. „weitgehend unbekannt“. Wenn dem so ist, erübrigen sich viele der wohlmeinenden Empfehlungen an Frauen mit Brustkrebs, denen nahegelegt wird, ihren Lebensstil zum Beispiel durch mehr Sport und andere Ernährungsformen zu verändern. Dies mag zwar allgemein gesundheitsförderlich sein, würde aber dann an einer Metastasierung nichts verändern, denn dies wäre demnach abhängig von der „Streuung“ vor der Operation.

1,4% Metastasen mehr je Millimeter

Eine andere Forscher*innengruppe aus dem Krebsforschungszentrum in Barcelona, die sich ebenfalls mit der Frage der Entstehung von Metastasen befasst hat, meint, dass die Tumorzellen in 2 oder 3 Wellen vom Primärtumor aus gestreut werden.4 Für Tumoren in der Größe zwischen 5 und 50 Millimeter vergrößert sich das Metastasierungsrisiko für jeden Millimeter mehr um 1,4%, selbst winzigste Tumoren von 1 mm Durchmesser könnten bereits metastasieren. Dies geschehe allerdings nur selten, so die Münchner Autor*innengruppe. Es wird vermutet, dass nur sehr wenige der „gestreuten“ Zellen eines Tumors später überhaupt in der Lage sind, zu Metastasen heranzuwachsen. Einigen der Krebszellen gelingt es möglicherweise, in „Nischen“ zu überleben oder zu „schlafen“, was die Wissenschaft als „Dormancy“ (Schlafzustand) bezeichnet.

Damit bleiben die Metastasen wohl die längste Zeit unsichtbar bzw. unter der Nachweisgrenze. Der „durchschnittliche“, mittlere = „mediane“ Zeitraum bis zur Diagnose von Metastasen beträgt 7 Jahre, so die Wissenschaftler*innen des Tumorzentrums München.

Es wird vermutet, dass das Metastasenwachstum insgesamt rund 15 Jahre braucht, bis die Krankheit schließlich zum Tod führt. Welche Patientinnen von einer späten Metastasierung betroffen sein werden, lässt sich vorab bisher nicht bestimmen. Auch wachsen die Metastasen von Brustkrebstumoren, von denen jeder individuell und nicht mit dem Tumor einer anderen Patientin vergleichbar ist, unterschiedlich schnell und teilweise über längere Zeiträume von 10 bis 15 Jahren.

Risiken für schneller metastasierende Tumoren

Durch verbesserte Untersuchungsmethoden werden heute mehr Patientinnen diagnostiziert, die bereits bei der Erstdiagnose an metastasierendem Brustkrebs leiden. Leider sind auch einige Patientinnen bereits rund 1,5 Jahre nach der ersten Diagnose ihres Brusttumors von einer Metastasierung betroffen (= sog. „kurzes metastasenfreies Intervall“). Dies ist häufiger bei Patientinnen mit befallenen Lymphknoten, mit Hormonrezeptor-negativem Brustkrebs, mit ungünstigerem Grading (G3) oder bei größerem Tumor in der Brust (über 5 cm) der Fall.

Veränderungen in Krankheitsverlauf und Metastasierungsmuster

Heute erleiden nur noch halb so viele Patientinnen (50% weniger) Knochenmetastasen und 30% weniger Lungenmetastasen. Das hat sich also deutlich verändert. Diese beiden Arten der Metastasierung haben eine vergleichsweise noch etwas bessere Prognose hinsichtlich der verbleibenden Überlebenszeiten. Das Auftreten von Leber- und Gehirnmetastasen, die beim Fortschreiten einer Metastasierung das fortgeschrittene Stadium der Krankheit bzw. der Metastasierung kennzeichnen, sind jedoch leider nicht seltener geworden. Die Forscher*innengruppe aus München interpretiert dies als Hinweis darauf, dass die adjuvanten Therapien Metastasen in Lunge und Knochen vernichten können. Aus bisher unbekannten Gründen erleiden einige Frauen mit Brustkrebs jedoch weiterhin Metastasierungen in Leber und Gehirn. Die wichtigste Frage für die Forschung bleibt entsprechend: Was verursacht die Metastasierung?

Überleben mit Metastasierung

Kurz zusammengefasst bedeuten die Ergebnisse aus dem Krebsregister: Mehr Frauen überleben ihre Erkrankung, mehr Frauen sind längere Zeit metastasenfrei, weil Knochen und Lunge sozusagen „übersprungen“ werden. Die schlechte Nachricht bleibt, dass metastasierter Brustkrebs allen neuen Therapienverfahren zum Trotz weiterhin nicht heilbar ist. Metastasen wachsen etwa doppelt so schnell wie der Primärtumor in der Brust. Sind bei Ersterkrankung bereits Metastasen nachweisbar, so ist die Krankheit nicht mehr heilbar, auch dann nicht, wenn die Metastasen noch nicht sichtbar sind.

Schnell metastasierende Tumoren

Frauen mit „Risiken für schneller metastasierende Tumoren“ sind häufiger auch von kürzeren Überlebenszeiten (durchschnittlich nur 10 Monate) betroffen.

Langsamerer Verlauf der Metastasierung

Bei einer „metastasenfreien Zeit“ von über 11 Jahren verläuft die Krankheit langsamer und die Patientinnen überleben durchschnittlich rund 40 Monate. Wie wir von vielen Patientinnen wissen, können diese Überlebenszeiten individuell jedoch sehr viel länger sein.

Kürzeres Überleben nach Diagnose der Metastasierung heute

Unerklärlich erschien den Autor*innen des Artikels aus dem Münchner Tumorzentrum zunächst, dass sich das Überleben nach Diagnose einer Metastasierung im berichteten Zeitraum sogar verkürzt hat. Dies spräche ja nicht für Fortschritt. Die Erklärung lautet: Da Metastasen nun häufiger erst im noch weiter fortgeschrittenen Stadium einer Metastasierung in Leber oder Gehirn entdeckt werden, ist die verbleibende Überlebenszeit ab Metastasierung für diese Patientinnen heute insgesamt kürzer.

Überdiagnose?

Leider hat das Autor*innen-Team die Betrachtung des Phänomens der Überdiagnose (s. dazu auch: Was ist eine Überdiagnose? bei gesundheitsinformationen.de) in ihrem Artikel ausgelassen.  Es wäre schon interessant, auch die Auswirkungen von Überdiagnosen im Zusammenhang mit Überlebensraten und Überlebenszeiten mitzurechnen.

Mehr zum Thema

Krebsregister deckt Metastasierungsprozess auf im Deutschen Ärzteblatt, Perspektiven der Onkologie 3/2017 v. 01.12.2017

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